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Pfarrer Gerald Rohrmann :
 
"Liebe Familien Heß, liebe Familie Weishaupt, Fam. Schmalfuß, liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde.
 
Endstation. Bitte aussteigen. Der Zug hält an. Die Räder stehen auf einmal still.
 
So lange haben sie sich rastlos bewegt, so viele Strecken mit Geschwindigkeit und Kraft genommen. Jetzt legt sich eine tiefe Ruhe über den Zug. Die Türen öffnen sich. Das Ziel ist erreicht.
 
Der Zug des Lebens.
Das war Helene Heß Lieblingsgedicht.
Bis zuletzt konnte sie alle Strophen auswendig sagen. So viele Gedichte konnte sie auswendig. Damit hat sie viel Freude gebracht.
An Geburtstagen, bei Veranstaltungen. Selbst noch im Krankenhaus hat sie anderen mit ihren Gedichten, ganz besonders mit dem Gedicht vom Zug des Lebens Mut gemacht. Ja, es gibt Steigungen und Mühsal. Ja, es gibt dunkle Tunnel. Aber es wird wieder hell werden. Der Zug des Lebens fährt weiter. Es gibt immer einen Weg. Denn Gott selber ist unser Zugbegleiter.
 
Am Abend des 29. Januar legte sich eine tiefe Stille über das Krankenzimmer, in dem Helene Heß zuletzt lag.
Ja, sie musste wieder ins Krankenhaus, zum vierten Mal kurz hintereinander. Dreimal kam sie wieder zu Kräften. Sie hatte noch Ziele. Wollte mit ihrer Familie noch so viel erleben. Wollte nach Hause, wo sie sich so wohl fühlte und so eine schöne Nachbarschaft hatte. Der Zug des Lebens sollte noch fahren.
Zwischendurch war sie in Wehrda und fühlte sich wohl dort, las Bücher. Oder in Frankenberg machte sie auch Besuche, ihre Schwägerin Helene, die auch im Krankenhaus lag, ich kam einmal dazu, was hatten sich beide zu erzählen von früher, was für schöne Geschichten waren dabei, und ich lauschte und verstand gar nicht alles in dem wunderbaren Allendörfer Platt. Oder mit ihrer Schwester lag sie Anfang des Jahres gemeinsam im Krankenhaus, und die beiden hatten sich auch noch so viel zu erzählen.
So lag selbst über dieser Zeit noch ein tiefer Segen! Und sie nahm Anteil, Enkel, Urenkel, sie interessierte sich für alles, machte um sich gar nicht viel Aufhebens, aber war auf euch einfach sehr, sehr stolz.
 
Aber beim vierten Mal so kurz hintereinander im Krankenhaus, da war die Kraft nicht mehr da. Sie spürte das. Und ich glaube, sie war jetzt bereit für den Zielbahnhof. Bereit ihr Leben in Gottes Hände zu legen, wie sie das ein Leben lang getan hatte, und auf seinen Ruf zu warten. Während die Kinder und Enkelkinder, die um ihr Bett versammelt waren, dabei ihre Hände streichelten, mit denen sie so viel gegeben und Liebe ausgeteilt hatte. Gehalten, umgeben von den Menschen, die sie so liebte, konnte sie gehen, sich Gott, ihrem Schöpfer, in die Arme werfen.
 
Von Gott hineingestellt in den Zug des Lebens wurde Helene Heß, damals noch Traute, am 14. September 1921.
 
Ihr Startbahnhof  war Elses im Riedweg. Dort wurde sie geboren als Tochter von Heinrich und Helene Traute. Zwei, im Grunde drei Geschwister hatte sie: Fritz, der im Alter von 4 Jahren 1919 starb, wieder Fritz, der 1919 geboren wurde, und ihre kleinere Schwester Auguste. Zuhause gab es Landwirtschaft, da half sie frühzeitig mit, besuchte die Schule und war immer eine sehr gute Schülerin. Einmal sollte sie einen Schulaufsatz vorlesen und tat das auch, und erst, als der Lehrer in ihr Heft schaute, sah er, dass da nichts drin stand: sie hatte den ganzen Aufsatz auswendig aufgesagt, ohne dass der Lehrer etwas bemerkte.
In Battenfeld besuchte sie den Konfirmandenunterricht.
Dann steuerte ihr Zug des Lebens in den ersten finsteren Tunnel hinein: 1933 starb ihr Vater Heinrich; Helene war gerade zwölf Jahre alt. Jetzt musste sie verstärkt im Haus anpacken; sie molk die Kühe, buk Brot im Backhaus, schaute sich die Kochkünste ihrer Mutter ab und fing selber an für die Familie zu kochen. Sie besuchte in Battenfeld den Konfirmandenunterricht und wurde konfirmiert.
 
Auf dem Auhammer findet sie Arbeit und bleibt dort bis 1941 beschäftigt. Bei einer Theateraufführung macht sie dort mit und schlüpft  in die Rolle der „Zeit“. Vor Menschen Texte frei sprechen, das war eine der ganz großen Gaben, mit der sie der liebe Gott versehen hat.
 
Ihr Lebenszug geht munter und fröhlich weiter. „Doch ist auf dieser langen Fahrt man selten ganz allein. Es fahren viele andere auch in unserem Abteil“, so heißt es im Gedicht „Der Zug des Lebens“. Einer, der zusteigt, wird ihr Leben prägen und ihr ganz besonders wichtig werden: Zu Hause bei Elses trifft sich die Clique Treugold; zu ihnen gehört auch August Heß. Dort stand auch einer der wenigen Plattenspieler, Musik wurde gehört, es waren schöne Treffen. Und dort begegnet Helene ihrem späteren Ehemann. Sie ist 12, da lernt sie ihn kennen, mit 14 sind sie schon zusammen und träumen von einer gemeinsamen Zukunft.
 
 
Dann wird sie wieder holpriger, die Fahrt des Zuges. Der Krieg bricht aus. Bruder Fritz muss einrücken. Er kehrt nicht wieder nach Hause zurück. Auch August muss in den Krieg. Einen Heimaturlaub nutzen Helene und August um zu heiraten: am 07. Februar 1942 werden sie von Pfr. Noll eingesegnet mit Worten aus dem 37. Psalm: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird’s wohlmachen.“Ein Wort, das Mut machte, Trost zusprach in dieser schweren Zeit, wo Helenes und Augusts Wege so kurz nach der Hochzeit wieder auseinandergerissen wurden und keiner sagen konnte, ob und wann es ein Wiedersehen gibt: Hoffe auf den Herrn, er wird’s wohlmachen. Gott machte es wohl. Aber es war ein schwerer Weg, August Heß war zwischenzeitlich in englischer Gefangenschaft und kehrte erst 1949 wieder heim.
Und es waren für Helene Heß 7 schwere Jahre ohne ihren Ehemann, aber dafür mit einem kostbaren neuen Reisebegleiter mit an Bord: Ihr Sohn Gerhardt, der 1942 geboren wurde, den sie 7 Jahre alleine großzog, bis ihn endlich sein Vater in die Arme schließen konnte. Auch die folgenden Jahre waren nicht leicht, August Heß musste sich beruflich wieder neu orientieren, bis er 1955 bei der Firma Balzer eine dauerhafte Anstellung fand.
 
Jetzt kam Helenes Lebenszug wieder richtig in Fahrt. 1961 wurde August und Helene ihr zweiter Sohn Manfred geboren, und sie genoss es so richtig noch einmal ein Kind heranwachsen zu sehen und diese Freude dieses Mal von Anfang mit ihrem Ehemann teilen zu können. Sie gehörte zu einer Damenclique, die viel unternahmen, Fasching zusammen feierte, viel Spaß miteinander hatte. Bei ihrer Schwester war sie oft, und deren Kinder sagten alle „Gote“ zu ihr. Und sie, die immer schon sehr gut kochen konnte, fing an andere zu bekochen bei Familienfeiern und Festen, und wie gut sie kochte, das sprach sich schnell herum. In Berghofen, Birkenbringhausen, Rennertehausen – dort einmal für 250 Personen – und in Allendorf bekochte sie regelmäßig Menschen an ihren glücklichsten Tagen, bei Hochzeiten, Geburtsjubiläen, Tauffeiern und Konfirmationen. Sie schrieb die Einkaufsliste, konnte allen Gastgebern genau sagen, was und wie viel sie brauchten, samstags kochte sie, sonntags wurde aufgeräumt, und ihr Ehemann half immer mit. Sie hatte eigene, wunderbare Rezepte, und es gab immer reichlich zu essen – ein halbes Pfund Fleisch pro Person rechnete sie, da konnte nichts schiefgehen.
 
Stolze Großmutter wurde sie, Gerhardt heiratete Birgit,Alexander und Daniela wurden geboren.
1972 übernahm sie den Vorstand der Ev. Frauenhilfe. 22 Jahre stand sie der Frauenhilfe voran, gestaltete das Programm, hatte immer einen sehr engen und herzlichen Kontakt zu den Pfarrern, Pfr. Hotz und Pfr. Rührup, arbeitete mit Frau Rührup eng zusammen. Viele, viele Päckchen hat sie gepackt, die in die DDR geschickt wurden, ihr Mann ist mit dem Fahrrad hin- und hergefahren zwischen Battenfeld und Allendorf um alles einzukaufen, viel Freude hat Frau Heß, haben die Frauen da Christinnen und Christen im anderen Teil Deutschlands bereitet, und manche Kontakte dorthin hat sie lange Zeit gepflegt. Eine Amtszeit machte sie auch im Kirchenvorstand mit, von 1979-1985, führte Pfr. Rührup 1980 in seine neue Gemeinde mit ein. Kirche, Gottes Wort, das lag ihr immer am Herzen. Sonntag für Sonntag saß sie im Gottesdienst, nahm Stärkung aus dem Gottesdienst mit, befahl ihre Wege immer wieder Gott selber, vertraute sich seiner Führung an. Und bei so gut wie jeder Beerdigung ging sie mit, sie kannte ja auch so viele Leute und nahm Anteil und begleitete und tröstete sie an diesen schweren Tagen.
 
Vielleicht der weiteste Weg von zu Hause weg führte sie nach Jersey, das erste Mal 1972, mit Manfred und dem Ehepaar Kessler, mit dem August und Helene eine enge Freundschaft verband. Dorthin, wo August im Krieg war, kurz bevor er in Gefangenschaft geriet. Und wie es so ihre Art war, ging sie auch dort gleich auf die Menschen zu, freundete sich mit der Chefin des Gästehauses an, sagte immer, dass sie wie zwei Schwestern wären, kehrte auch dort die Straße, wie sie es zu Hause immer tat, und half in der Küche mit. Mehrfach war sie mit ihrem Ehemann dort und fühlte sich immer sehr wohl.
 
„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen.“ Dieses Vertrauen in Gottes Führung wurde auf die schwerste Probe Anfang der 80er Jahre gestellt: ihr Sohn Gerhardt, der selber schon mit Birgit verheiratet war und Kinder hatte, erkrankte schwer. Wie viel Bangen und Hoffen, wie viel Gebete schickte sie zum Himmel. Am 1.12.1989 starb er. „Befiehl dem Herrn deine Wege“. Das ist schwer in so dunkler Stunde neuen Mut zu fassen, auf Gottes Führung zu vertrauen, darauf vertrauen, dass hinter dem dunkelsten Tunnel im Zug des Lebens auch wieder das Licht wartet. Auch liebste Zugbegleiter verlassen irgendwann den Zug des Lebens und bleiben doch ein Leben lang in unseren Herzen immer bei uns. Helene Heß hatte zwei Kraftquellen. Ihren festen Glauben. Und ihre Familie.
Manfred heiratete Ulrike, Christina und Franziska wurden geboren und waren oft bei Opa und Oma, jeden Samstag allemal. Freitags kochte Helene Heß vor, um den Samstag ganz Zeit zu haben für ihre Enkel. Sandkasten, ein Pferd auf Rollen, eine Schaukel und vieles mehr. Sie war bestens ausgerüstet, und ihr werdet unvergessliche Erinnerungen an Opa und Oma immer im Herzen behalten. Und auch für ihre beiden großen Enkel Alexander und Daniela war sie da, wenn sie Ofenplätzchen (Oweplätze) backte, ihre unvergesslichen „OWEPLÄTZE“, da bekam jeder aus der Familie eine Ration für zu Hause mit, die Nachbarschaft wurde auch mit bekocht. Manchmal, wenn die Traurigkeit groß wurde, dann hat sie auch einfach mal geweint mit ihrer Familie, mit ihren Enkelkindern. Es ist so kostbar Menschen zu haben mit denen man einfach weinen kann.
 
Sie fuhr weiter auf ihrem Lebenszug. Aufgaben warteten auf sie. Sie war gerne im Garten. Sie häkelte. Sie pflegte eine gute Nachbarschaft. Manch ganz besondere Tage durfte sie auf ihrer Lebensreise noch erleben, mit ihrem Ehemann Goldene Hochzeit feiern. Sie erlebte Konfirmations- und Hochzeitsfeiern ihrer Enkel. Wurde Uroma von Mara, Luca und Laura, und war für sie auch mit viel Herz und Einsatz immer da. Erfreute andere mit Gedichtvorträgen und Sketchen. Genoss alle Zeit mit ihrer Familie. Hatte das Herz am rechten Fleck.
 
Dunkle Tunnel gab es weiterhin auf dieser Lebensreise. Abschiede von lieben Menschen, die den Zug verließen, von Gott gerufen wurden. Ganz besonders schwer war der Abschied von ihrem Ehemann August, der im März 2000 starb. Gott gab ihr erneut Kraft, Energie, Hoffnung. Enkel, Urenkel gaben ihr neuen Lebensmut. Die Frauen der Frauenhilfe hielten engen Kontakt zu ihr, auch als sie längst nicht mehr zu den Treffen kommen konnte. Bis zuletzt war sie ein Mensch, an dem sich andere aufrichten konnten. Unvergesslich ist die 900-Jahr-Feier, wo sie sich am Trubel auf ihrem Hof freute – der Tischtennisclub hatte dort seinen Stand - . Beim Seniorentreffen hielt sie vor „gerammelt vollem“ Bürgerhaus einen Gedichtvortrag. Und führte beim Stehenden Festzug zwischendurch den Battenberger Musikzug an, hörte ja nicht mehr so gut, und hörte gar nicht, dass die Musiker hinter ihr herzogen, während sie mitten auf der Straße unterwegs war.
Sie war ein richtiges Allendörfer Urgestein und hat so viele Spuren der Liebe und Fürsorge hinterlassen.
 
Was bleibt, sind kostbare Erinnerungen. Werte, Glaube, Liebe – den euch die Mutter, Oma, Uroma, Schwester, Gote weitergegeben hat. Sie hat jetzt den Zug verlassen. Bis zuletzt mit einmaligem Gedächtnis und viel Warmherzigkeit gesegnet. Dafür dürfen wir dankbar sein.
 
Wann wir den Lebenszug verlassen müssen, das liegt nicht in unserer Hand. Den Fahrplan schreibt ein anderer. Das einzige, was wir wissen dürfen: der, der den Fahrplan festlegt, denkt sich etwas dabei. Er macht alles wohl. Und seine Handschrift ist: die Liebe.
 
Und wir dürfen eines wissen: Nichts kann uns von Gott trennen. Wenn wir den Zug des Lebens verlassen, werden wir am Bahnsteig schon erwartet. Gott selber ist es, der uns mit ausgebreiteten Armen in Empfang nimmt. Er nimmt uns mit auf eine neue, weite Reise mit herrlichem Ziel. Der Tod ist jedenfalls kein Sackbahnhof, in dem es nicht mehr weitergeht. Jesus selber hat uns den Weg gebahnt vom Tod ins ewige Leben. Er nimmt uns an der letzten Station unserer irdischen Lebensreise in Empfang. Lässt uns umsteigen in einen Zug, der uns all denen entgegenbringt, die vor uns gegangen sind. Ein Zug, der uns Gott selber entgegenbringt. Jesus gibt das Signal zur Weiterfahrt in sein Reich.
 
Gute Reise, Helene Heß. Danke für all das, was du getan hast. Und Ihnen, liebe Angehörigen. Gute Weiterreise mit Helene Heß Wunsch im Gepäck: „Das Leben lieben, am Schönen sich freuen, das Rechte stets tun, die Arbeit nicht scheuen, im Glück nicht jubeln, im Leid nicht klagen, das Unvermeidliche mit Würde tragen.
 
Gott segne Sie dabei. Amen.